Klaus Thörner: "Der ganze Südosten ist unser Hinterland"
Die Donau, schrieb der Nationalökonom Friedrich List 1834 im bald einflussreichen Rotteck-Welckerschen Staatslexikon, sei die "natürliche Straße" von Zentraleuropa in Richtung Schwarzes Meer. Damit sei sie für die deutschen Fürstentümer "die nächste und beste Handelsstraße nach dem westlichen Asien und nach Indien". Über Handelsrouten dorthin musste ein Land, das es wirtschaftlich zu etwas bringen wollte, wenn irgend möglich verfügen, und deutsche Ökonomen wie List, der bekannte Vorkämpfer des Deutschen Zollvereins, erkannten dies unbedingt. Da die damaligen Großmächte, vor allem Großbritannien, die Seewege in ihre Kolonien wie etwa Indien beherrschten, blieb den deutschen Fürstentümern nur eine günstige Lösung - sie mussten, so sah es List, den Landweg nehmen. Die Donau entlang bis ans Schwarze Meer, dann weiter durch die Länder des Osmanischen Reichs an den Persischen Golf oder nach Indien: Das war die Expansionslinie, die Friedrich List favorisierte.
Lists Konzept für eine deutsche Südostexpansion ging über die bloße Sicherung der Handelsrouten hinaus. Deutsche Bergbaugesellschaften, schlug er vor, sollten in Südosteuropa die "großen Mineralreichtümer" der dortigen Länder ausbeuten. Deutsche Handelskompanien sollten "große Strecken Landes" kaufen und sie landwirtschaftlich nutzen. Jede wirklich bedeutende Nation, auch die deutsche, habe das Recht auf ein "ausgedehntes und wohlarrondiertes Territorium", schrieb List und sah als koloniales Einflussgebiet der deutschen Fürstentümer "die Länder an der unteren Donau und am Schwarzen Meer" vor. Der Ökonom erwähnte explizit, es gehe natürlich auch darum, "den deutschen Manufakturprodukten in jenen Ländern neue Märkte zu eröffnen". "Der ganze Südosten ist unser Hinterland", fasste List die Bedeutung zusammen, die nach seiner Auffassung Südosteuropa für die deutschen Staaten besaß.
Wie Klaus Thörner in seiner herausragenden Arbeit über die deutschen Südosteuropapläne der Jahre von 1840 bis 1945 zeigt, hat Friedrich List mit seinem Konzept bereits den Kern der späteren deutschen Südostexpansion beschrieben. "Südosteuropa sollte als ein auf niedriger Entwicklungsstufe gehaltenes Wirtschaftsgebiet zum deutschen Rohstoff- und Agrarproduktelieferanten und zum Absatzmarkt deutscher Industriegüter werden", fasst Thörner die deutschen Konzeptionen zusammen: "Darüber hinaus waren die Verkehrsverbindungen über Jugoslawien, Rumänien und Bulgarien als wichtige, gegenüber den Seemächten 'blockadesichere' deutsche Handelswege in den Nahen Osten vorgesehen." Die günstigen Landverbindungen entlang der Donau galten dabei stets als Vorteil für die deutschen Fürstentümer und später für das Deutsche Reich.
Thörner belegt diesen Kern der deutschen Südostexpansion für deren verschiedene Entwicklungsphasen: Für die List'schen Planungen ebenso wie für die Debatten der Paulskirche, für die Bismarck'sche Politik und den Berliner Kongress, für die aggressivere Expansion des späteren Kaiserreichs, für dessen Kriegsziele sowie für Friedrich Naumanns "Mitteleuropa"-Konzept. Thörner entfaltet die Transformation der Pläne zur Lehre von der "Großraumwirtschaft", in der Südosteuropa die Rolle eines kolonialen "Ergänzungsraumes" zugeschrieben wurde, und ihre Umsetzung durch NS-Deutschland. In der Bundesrepublik führten die alten Konzepte ihre Existenz weiter fort. "Wesentliche Institutionen der deutschen Südosteuropaforschung", schreibt Thörner exemplarisch, "blieben erhalten oder wurden wiedereröffnet. In ihnen setzten führende wissenschaftliche Südosteuropaexperten des Nationalsozialismus ihre Karriere und ihre Planungen fort."
Die deutsche Hegemonie über Südosteuropa ist heute weitgehend verwirklicht, nicht zuletzt übrigens auf ökonomischem Gebiet und mit Hilfe der EU, in die die Staaten Südosteuropas sukzessive einbezogen wurden oder künftig werden. Ein solcher Zusammenschluss, vorwiegend ökonomisch orientiert, "unter äußerlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren", hatte einst ein Visionär geschrieben. Sein Name lautete Theobald von Bethmann Hollweg, er hatte die Vision über die ökonomische Unterordnung Ost- und Südosteuropas unter faktische deutsche Führung, die Thörner am Schluss seines überzeugenden Werkes zitiert, während seiner Amtszeit als Reichskanzler verfasst: In seiner Denkschrift über die deutschen Kriegsziele vom September 1914.
Lists Konzept für eine deutsche Südostexpansion ging über die bloße Sicherung der Handelsrouten hinaus. Deutsche Bergbaugesellschaften, schlug er vor, sollten in Südosteuropa die "großen Mineralreichtümer" der dortigen Länder ausbeuten. Deutsche Handelskompanien sollten "große Strecken Landes" kaufen und sie landwirtschaftlich nutzen. Jede wirklich bedeutende Nation, auch die deutsche, habe das Recht auf ein "ausgedehntes und wohlarrondiertes Territorium", schrieb List und sah als koloniales Einflussgebiet der deutschen Fürstentümer "die Länder an der unteren Donau und am Schwarzen Meer" vor. Der Ökonom erwähnte explizit, es gehe natürlich auch darum, "den deutschen Manufakturprodukten in jenen Ländern neue Märkte zu eröffnen". "Der ganze Südosten ist unser Hinterland", fasste List die Bedeutung zusammen, die nach seiner Auffassung Südosteuropa für die deutschen Staaten besaß.
Wie Klaus Thörner in seiner herausragenden Arbeit über die deutschen Südosteuropapläne der Jahre von 1840 bis 1945 zeigt, hat Friedrich List mit seinem Konzept bereits den Kern der späteren deutschen Südostexpansion beschrieben. "Südosteuropa sollte als ein auf niedriger Entwicklungsstufe gehaltenes Wirtschaftsgebiet zum deutschen Rohstoff- und Agrarproduktelieferanten und zum Absatzmarkt deutscher Industriegüter werden", fasst Thörner die deutschen Konzeptionen zusammen: "Darüber hinaus waren die Verkehrsverbindungen über Jugoslawien, Rumänien und Bulgarien als wichtige, gegenüber den Seemächten 'blockadesichere' deutsche Handelswege in den Nahen Osten vorgesehen." Die günstigen Landverbindungen entlang der Donau galten dabei stets als Vorteil für die deutschen Fürstentümer und später für das Deutsche Reich.
Thörner belegt diesen Kern der deutschen Südostexpansion für deren verschiedene Entwicklungsphasen: Für die List'schen Planungen ebenso wie für die Debatten der Paulskirche, für die Bismarck'sche Politik und den Berliner Kongress, für die aggressivere Expansion des späteren Kaiserreichs, für dessen Kriegsziele sowie für Friedrich Naumanns "Mitteleuropa"-Konzept. Thörner entfaltet die Transformation der Pläne zur Lehre von der "Großraumwirtschaft", in der Südosteuropa die Rolle eines kolonialen "Ergänzungsraumes" zugeschrieben wurde, und ihre Umsetzung durch NS-Deutschland. In der Bundesrepublik führten die alten Konzepte ihre Existenz weiter fort. "Wesentliche Institutionen der deutschen Südosteuropaforschung", schreibt Thörner exemplarisch, "blieben erhalten oder wurden wiedereröffnet. In ihnen setzten führende wissenschaftliche Südosteuropaexperten des Nationalsozialismus ihre Karriere und ihre Planungen fort."
Die deutsche Hegemonie über Südosteuropa ist heute weitgehend verwirklicht, nicht zuletzt übrigens auf ökonomischem Gebiet und mit Hilfe der EU, in die die Staaten Südosteuropas sukzessive einbezogen wurden oder künftig werden. Ein solcher Zusammenschluss, vorwiegend ökonomisch orientiert, "unter äußerlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren", hatte einst ein Visionär geschrieben. Sein Name lautete Theobald von Bethmann Hollweg, er hatte die Vision über die ökonomische Unterordnung Ost- und Südosteuropas unter faktische deutsche Führung, die Thörner am Schluss seines überzeugenden Werkes zitiert, während seiner Amtszeit als Reichskanzler verfasst: In seiner Denkschrift über die deutschen Kriegsziele vom September 1914.