Salı, Şubat 06, 2007

Der Kosovo-Mythos (Vorsicht! FAZ Artikel)

Der Kosovo-Mythos

Von Michael Martens

05. Februar 2007

Wird Serbien die enge Bindung an Russland suchen - als Trost für den Verlust des Amselfeldes?
Serbiens Kosovo-Politik ruht auf drei Pfeilern: dem nicht erst von Milosevic vermarkteten Epos eines Waffengangs am Ausgang des Mittelalters, der Überzeugungskraft des Völkerrechts sowie dem nicht immer geglückten Versuch einer kühl eigene und fremde Möglichkeiten wägenden Realpolitik.
Man kann es für müßig halten, sich mit dem vermeintlichen historischen Ursprung des Konflikts um das Kosovo zu beschäftigen. Was an einem Junitag des Jahres 1389 auf dem Amselfeld geschah, ist für die Beurteilung der gegenwärtigen Lage tatsächlich unerheblich. Nicht nebensächlich ist aber, was aus dem Kampf der Armeen des serbischen Fürsten Lazar gegen die Truppen von Sultan Murad I. in den Jahrhunderten danach gemacht wurde: Der Mythos vom Amselfeld ist oft mit Erfolg eingesetzt worden, um die serbische Innenpolitik zu beeinflussen. Zuletzt war das im Oktober des vergangenen Jahres so, als Serbiens Ministerpräsident Kostunica das Kosovo als Hebel einsetzte, um die neue serbische Verfassung durch das Parlament zu bringen.
Wie praktisch dieser Kosovo-Mythos ist, hat indirekt sogar Milosevic selbst bestätigt, indem er zugab, dass es schwierig sei, zwischen der Legende und der Geschichte der Schlacht zu unterscheiden. Ihm diente die Überlieferung von der serbischen Niederlage sechs Jahrhunderte später als Instrument zur Abschaffung der Zeit. Eine mythische Vergangenheit wurde in die Gegenwart umgepflanzt und tagespolitisch urbar gemacht. Die Schlacht gegen die Türken war nicht länger ferner Waffenlärm aus grauer Vorzeit. Kosovo war gestern. Das zeigte sich auch 1999 im Krieg der Nato gegen "Jugoslawien". In der serbischen Propaganda zum Kosovo-Krieg erschien die Geschichte in Gestalt einer Wiederholungstäterin, mit der westlichen Allianz in der Rolle der Osmanen.
Die legendäre Vorlage eignet sich auch deshalb so gut für politische Zwecke, weil eines ihrer zentralen Elemente die Geschichte vom Verräter ist, dem "serbischen Judas" Vuk Brankovic, der die Schuld am Untergang der Serben tragen soll, weil er den Fürsten Lazar im Stich gelassen habe. Kein Serbe will seinen Gegnern Gelegenheit geben, ihn als Brankovic zu diskreditieren. Daher wagt außer einem jungen und bis auf weiteres wohl nebensächlichen Epigonen des ermordeten Reformers Zoran Djindjic auch kein bekannter Politiker in Belgrad, öffentlich aus dem fatalen Konsens auszubrechen, dass Serbien das Kosovo niemals aufgeben dürfe.
Da nun weder der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen noch der UN-Sondergesandte Ahtisaari die Nachwirkungen mittelalterlicher Blutbäder zur Grundlage ihrer Entscheidungen machen werden, beruft sich Serbien in seiner Außendarstellung des Konflikts auf das Völkerrecht. Es hat starke Argumente auf seiner Seite, zumal die Vereinten Nationen als Zusammenschluss souveräner Staaten separatistische Bewegungen per se nicht gutheißen können. Immer wieder warnt die Regierung in Belgrad vor dem gefährlichen Präzedenzfall, der einträte, sollte die Staatengemeinschaft Serbien mit Billigung des UN-Sicherheitsrates ein Fünftel seines Staatsgebietes entreißen. Besonders die Vereinigten Staaten behaupten als Antwort stets, beim Kosovo handele es sich um einen einzigartigen Fall. Doch trotz aller Unterschiede im Detail: Tatsächlich ist nicht der Fall Kosovo sui generis, sondern nur die Behauptung, er sei es. Tschetschenen, Kurden, Uiguren und die Minderheiten vieler anderer Länder könnten sich schließlich wie die Kosovo-Albaner darauf berufen, ein Verbleib in ihrem jeweiligen Staat sei ihnen nach dem, was ihnen in der Vergangenheit widerfahren sei, nicht mehr zumutbar. Sie könnten das im Gegensatz zu den albanischen Kosovaren sogar mit überzeugenderen Gründen tun, denn deren Drangsalierung gehört der Vergangenheit an, und Serbien ist heute, trotz aller Mängel, ein demokratischer Staat.
Die dritte Säule der serbischen Politik ruht weder auf dem Recht noch auf der Macht der Vergangenheit. Ihr Sockel ist solider: Belgrad kalkuliert mit der Macht der Gegenwart und setzt auf ein russisches Veto gegen einen Plan zur Unabhängigkeit des Kosovos. Doch es scheint möglich, dass Russland Serbien eher dann enger an sich binden kann, wenn es die Unabhängigkeit des Kosovos nicht verhindert, die heimlich geduldete Abtrennung der Provinz dabei aber als ein Werk des Westens darstellt - was sie letztlich ja auch wäre. Unter Präsident Putin, der seinen Landsleuten das in den neunziger Jahren verlorene Selbstvertrauen in hohen Dosen wieder injiziert hat, ist Russland auch auf dem Balkan damit beschäftigt, verlorenen Einfluss zurückzugewinnen. Wie in anderen Weltgegenden ist die Energiepolitik das auffälligste Mittel dazu. Zu den wichtigsten Vorhaben Russlands auf dem Balkan gehört der Bau einer Ölleitung vom bulgarischen Schwarzmeerhafen Burgas bis zur thrakischen Stadt Alexandroupoli an der griechischen Ägäisküste. Doch auf Bulgarien, den einst treusten Vasallen in der Region, ist nach dem EU-Beitritt des Landes aus Moskauer Sicht kaum noch Verlass, selbst wenn alte bulgarisch-russische Verbindungen, gerade beim Militär und in den Geheimdiensten, noch bestehen. Der serbische Weg in die EU scheint dagegen derzeit unabsehbar weit zu sein. Ein dem Westen entfremdetes Serbien könnte schon aus Mangel an anderen Möglichkeiten jene enge Bindung an Russland suchen, die der in Den Haag einsitzende Nationalistenführer Seselj seit Jahren fordert. Die Gleichung ginge allerdings nur auf, wenn sich Serbien nach der Unabhängigkeit des Kosovos tatsächlich innenpolitisch radikalisierte. Das könnte vorübergehend auch geschehen. Mittelfristig aber ist das Gegenteil zu erwarten.

Text: F.A.Z., 06.02.2007, Nr. 31 / Seite 1

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