Von Werner Pirker
http://www.jungewelt.de/2007/01-27/059.php
Der Westen meint, die Wahlen in Serbien gewonnen zu haben. Schnell war eine Zweidrittelmehrheit für das »demokratische Lager« errechnet. Denn wer demokratisch ist in Serbien und wie sich demokratische Mehrheiten zusammenreimen lassen, sind Machtfragen, über die nicht die serbische Wählerschaft, sondern die Balkan-Protektoratsverwaltung in Brüssel – nach Rücksprache mit Washington – abzustimmen hat. Daß mit Seseljs Radikalen eine Partei den ersten Platz erobert hat, die dieses Machtverhältnis nicht anzuerkennen bereit ist, erscheint als Schönheitsfehler ohne grundsätzliche Bedeutung. Die »Mehrheit für Europa« stand fest, noch bevor sich die politischen Kräfte, die sie zu bilden haben, zum Wahlergebnis geäußert hatten. Wer mit wem zu koalieren hat, wird nicht in Belgrad entschieden.Daß das serbische Wählervotum auch anders ausgelegt werden könnte, kommt erst gar nicht zur Erörterung. Denn das würde die »demokratische Mehrheit« als reines Konstrukt bloßstellen. Ihr demokratischer Gehalt wird am Grad der Unterwürfigkeit gegenüber den westlichen Vorgaben bemessen. Aus dieser EU-amtlichen Demokratie-Definition haben sich wie von selbst die Mehrheitsverhältnisse zu ergeben. So stellt sich der demokratiepolitische Idealfall für Serbien dar, auch wenn er nicht dem realen Wählervotum entspricht. Es gibt an der Basis der serbischen Gesellschaft keine Mehrheit für eine Politik des nationalen Ausverkaufs. Es gibt eine patriotische Mehrheit. Diejenigen, die ihre Stimme der Kostunica-Partei DSS gaben, haben nicht für die Aufgabe des Kosovo votiert und auch nicht für die Zusammenarbeit mit dem illegalen Tribunal von Den Haag. Doch werden ihre Stimmen aller Wahrscheinlichkeit nicht dem Lager zufallen, das sie gewählt haben. Vojislav Kostunica wird seine Haut zwar so teuer wie möglich zu verkaufen versuchen, sich dem Druck der »demokratischen Mehrheit« und ihrer Erfinder aber letztlich nicht entziehen können oder wollen. Denn sollte er sich tatsächlich an die Spitze einer Koalition aus Radikalen, Milosevic-Sozialisten und seiner Partei stellen, dann würde die NATO wohl nur noch auf gutes Flugwetter warten. Doch selbst wenn der Himmel für westliche Militärinterventionen in den nächsten Jahren verdüstert bleiben sollte, wäre in jedem Fall ein Totalboykott Serbiens die Folge. Es waren deshalb auch keine freien Wahlen, die in Serbien stattfanden. Sie verliefen unter extremem Druck von außen, und es ist das feindliche Ausland, das die künftige Regierungskoalition und deren Politik bestimmt. Entsprechend machtbewußt verfaßte der an der Wiener Universität lehrende Politologe Vedran Dzihic seinen Gastkommentar für die österreichische Tageszeitung Der Standard. »In Serbien«, schreibt er, »steht nach dem Wahlgang die Bildung einer neuen Regierung an, die vermutlich durch eine breite Koalition ›demokratischer‹ Parteien gebildet werden wird. In einem positiven Szenario würden die demokratischen Parteien DS, DSS, G-17 und die Liberalen von Jovanovic schnell eine stabile Mehrheit bilden können, in der neuer Realismus zum Maßstab des Handelns wird. Die Unabhängigkeit des Kosovo muß akzeptiert, Mladic muß schnell ausgeliefert und der Weg in die EU offensiv beschritten werden. Eine Loslösung des Kosovo vom ›Mutterland‹ ist eine Voraussetzung für den Prozeß der Europäisierung Serbiens, dies müssen die demokratischen Kräfte erkennen.« Deutlicher kann die EU-Integration (Europäisierung) Serbiens als neokolonialistisches Programm kaum noch beschrieben werden. Das hat es bisher noch nicht gegeben. Daß einem Land die Preisgabe seiner territorialen Integrität als Grundvoraussetzung für eine spätere EU-Mitgliedschaft abverlangt wird. Am Beispiel Serbiens wird offenkundig, was die Europäische Union wirklich ist. Jedenfalls kein Staatenbund zwischen Gleichberechtigten, sondern eine Zwangsinstitution, die internalisierte Form der Herrschaft von starken über schwache Staaten. Die Republik Serbien ist das schwächste Glied. Sie hat dem neoliberalen Globalisierungsdruck zehn Jahre lang Widerstand geleistet und die jugoslawischen Werte – nationale Unabhängigkeit, Blockfreiheit und soziale Gerechtigkeit – verteidigt. Entsprechend hart trafen sie die Erziehungsmaßnahmen der westlichen Wertegemeinschaft. Zuerst die Balkanisierung des Balkans, dann der Bombenkrieg und dann die Zwangseuropäisierung. Doch eines scheinen die Herren über den Balkan vergessen zu haben: Die Kette bricht an ihrem schwächsten Glied.
Pazar, Ocak 28, 2007
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